Frankfurter Allgemeine Zeitung: Politik

Das erste Denkmal dieser Art
Ein Geschenk entzweit Jena / Von Claus Peter Müller

17.06.03
 
JENA , im Juni. Kurz vor dem Bau der Mauer am 13. August 1961 wanderte Karl Heinz Johannsmeier aus der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinigten Staaten aus. Zum 17. Juni 2003, 50 Jahre nach der Niederschlagung des Arbeiteraufstands in der DDR, ist er nun in seine Heimatstadt Jena zurückgekehrt, um "Den Verfolgten der Kommunistischen Diktatur 1945 bis 1989" ein Denkmal zu stiften. Es sei das erste Denkmal dieser Art in Ostdeutschland, heißt es in Jena . Doch unter Hinweis auf die Gestaltung des Denkmals und offene Verfahrensfragen regt sich Widerstand gegen das Vorhaben.

Johannsmeier wurde am 28. Februar 1929 in Jena in ärmlichen Verhältnissen geboren. "Alle", erinnert er sich, "waren arbeitslos", auch in seiner Familie. Der Vater brachte sich 1933 um. Vom siebten Lebensjahr an wuchs Johannsmeier bei seiner Großmutter auf. Nach acht Jahren Volksschule wurde ihm Zeiss zu einer zweiten Heimat. Dort begann er eine Feinmechanikerlehre, studierte bald an der Fachhochschule für Feinmechanik und Optik. Im Herbst 1955 reiste er nach Frankfurt am Main . Auf seiner Rückkehr über Hof mit seinem Motorrad wurde er an der Grenze angehalten. Weil er 100 West-Mark bei sich trug, wurde er acht Stunden an der Grenze festgehalten, saß anschließend tagelang im Gefängnis der Staatssicherheit in der Bezirkshauptstadt Gera. Die Stasi bot Johannsmeier an, den Spionagevorwurf fallenzulassen, wenn er eine Verpflichtungserklärung unterschriebe, seine Kollegen zu bespitzeln.

Der junge Mann kehrte zurück zu seiner Braut, mit der er fliehen wollte. Sie entkam in den Westen. Er aber kaufte noch vor der geplanten Flucht in einem Geschäft an der Ost-Berliner Stalinallee ein Zeiss-Fernglas als Geschenk für einen guten Freund. Die Verkäuferin winkte den Mitarbeiter der Stasi herbei, der schon im Laden wartete. Johannsmeier habe ein Rüstungsgut gekauft, lautete der Vorwurf. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit wurde er wegen Boykotthetze und Verstoßes gegen das Gesetz zum innerdeutschen Handel zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Er saß in Waldheim und Torgau ein. Nach der Wende las Johannsmeier in seiner Opferakte, daß selbst ranghohe Stasi-Angehörige die Strafe als zu hart empfanden. Zum 1. April 1958 wurde Johannsmeier entlassen, ging in den Westen, nach Karlsruhe , und machte dort Karriere, bis er an die Grenze fehlender Englischkenntnisse stieß. Er reiste nach New York , um die Sprache zu lernen, fuhr weiter in den Norden Kaliforniens. Als er die Grenze zum Staat Kalifornien überschritt, kam im Radio die Meldung, daß in Berlin eine Mauer gebaut werde.

Johannsmeier entschloß sich, in Amerika zu bleiben, und fragte in einem Haus, das ihm wegen seiner Architektur gefiel, nach Arbeit. Es war ein Verlag. Der hatte zwar keinen Job für ihn, aber nebenan, sagte man ihm dort, gebe es eine kleine Firma namens Hewlett Packard, die suche Ingenieure. Johannsmeier fing in der Forschungsabteilung an. 1968 gründete er seine erste eigene Firma Opticon, die Masken für die Halbleiterfertigung herstellte. Stolz ist Johannsmeier darauf, den Stepper entscheidend fortentwickelt zu haben, jene Maschine, welche die Herstellung der Computerchips revolutioniert hat. Johannsmeier verkaufte das Unternehmen, baute ein nächstes auf, wurde zum Investor, der die Gründung anderer Unternehmen initiierte. Eines dieser Unternehmen wechselte vor drei Jahren für 900 Millionen Dollar den Besitzer.

Zu den Verwandten in Ostdeutschland hielt Johannsmeier Kontakt, machte teure Geschenke, die er sich in seiner neuen Heimat hatte hart ersparen müssen. Noch heute empfindet Johannsmeier, der Jenaer aus Kalifornien, Deutschland als seine Heimat. Über Jahre reifte in ihm der Plan, etwas für seine Heimatstadt zu tun. Er wollte der Universität eine Lektorenserie spenden, Wissenschaftler und erfolgreiche Unternehmensgründer aus dem Silicon Valley auf seine Kosten nach Jena vermitteln, doch "das ist nicht zustande gekommen, denn die Verantwortlichen in Jena haben sich nicht einigen können". Auch die Suche nach Investitionsmöglichkeiten blieb ohne Erfolg.

Schließlich bot Johannsmeier die Errichtung des Denkmals an. Auf der Westseite des alten Rathauses sollen vier stelenartige Mauerstücke aus Glas aufragen, in denen die symbolisierten Namen der 400 000 Verfolgten des SED-Regimes festgehalten sein sollen. Der Entwurf stammt in den Grundzügen von Johannsmeier selbst, der als Maler im Goethe-Institut oder im Art College von San Francisco ausgestellt hat. Der Freistaat Thüringen und die Stadt Jena nahmen Johannsmeier offen auf. Mit breiter Mehrheit bekannte sich der Stadtrat zweimal zum Bau des Denkmals. Die Stadt richtete einen Beirat ein, der die Planung und Errichtung des Denkmals begleitet.

Doch in der Zwischenzeit baute sich eine Ablehnungsfront gegen das Denkmal auf. Wortführer der Denkmalgegner ist der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Knigge. Er beklagte die vermeintliche Überfrachtung des Denkmals: "So diffus der Denkmalgedanke ist, so unangemessen, beliebig und banal ist die Denkmalform." Dagegen dringen die Vertreter der Opferverbände auf eine rasche Entscheidung und den schnellen Bau. Johannsmeier beklagt, daß seine Kritiker "nicht ein einziges Mal mit mir sprechen wollten". Der Widerstand zeigt aus seiner Sicht den "explosiven Inhalt" seines Vorhabens. Menschen könnten sich den Spiegel vorgehalten sehen. Johannsmeier indes hält sein Wirken für unentbehrlich: "Wenn es einer von hier macht, würde es nichts geben. Meine Kritiker haben nie im Gefängnis gesessen. Hätten sie die Republikflucht gewagt?" Johannsmeier fragt, warum über die Verwendung des KZ Buchenwald als sowjetisches Speziallager im Internet nicht annähernd so ausführlich berichtet werde wie über den nationalsozialistischen Terror dort. "Ich bin total unpolitisch und naiv, aber jetzt werde ich aufmerksam." Er verteidigt den Werkstoff Glas, den andere kritisieren. Er wolle eben keine neue Betonmauer, sondern Transparenz. Das Denkmal solle licht und jung sein, solle Grundstein für eine politische Bildung im Osten Deutschlands werden. Johannsmeier sieht mit der Diskussion, die er in Jena ausgelöst hat, die Dimension seines Vorhabens wachsen, spricht von einem Freiheitsdenkmal für alle Verfolgten und Vertriebenen der Jahre nach 1945.

Manche Menschen hier, stellt Johannsmeier fest, seien noch immer "brain washed". In den vielen Gesprächen, die er seit den fünfziger Jahren über das willkürliche Urteil gegen ihn geführt habe, gestehe man ihm nur zu, daß seine Haftstrafe zu hoch gewesen sei. Aber nur wenige stellten die von dem DDR-Regime verhängte Strafe überhaupt in Frage. Wer aber eine Strafe für Reisende akzeptiere, habe sich damit abgefunden, daß ihm die Freiheit genommen worden sei.

Johannsmeier freut sich jedoch über die Unterstützung durch die Stadt. Bürgermeister Schwind lobt ihn für sein Engagement: "Er tut was, was viele verdrängt oder vergessen haben." Der CDU-Politiker steht zu dem Denkmal. Der Entwurf und die Diskussion darum zeigten, daß Freiheit Arbeit mache, gelegentlich Ärger, aber daß sie zu gestalten sei. Am 17. Juni soll mit dem Bau symbolisch begonnen werden. In einem Jahr soll die Arbeit abgeschlossen sein. Das "wollen wir versuchen", sagt der Bürgermeister.
 
 
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